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Die Kraft des Spiels in einer sicheren (aber nicht zu sicheren) Umgebung

In den neunziger Jahren schloss ich mein Studium der Sozial- und Kulturanthropologie an der Radboud Universität Nijmegen mit einem Master ab. Anstatt in die Randgebiete Afrikas zu reisen, entschied ich mich, meine Feldforschung in einer berüchtigten Stadt an der Costa Brava in Katalonien, Lloret de Mar, durchzuführen. In den Medien wurde dieser Ort als eine moderne Version von Sodom und Gomorra dargestellt, in der junge Leute bei Sex und Drogen durchdrehten. Meine Diplomarbeit befasste sich mit der kulturellen Bedeutung dass dies geschieht. Wie verhalten sich Heranwachsende wirklich? Und was bedeutet das?
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Könnte man die Erfahrung von Lloret als ein Ritual des Erwachsenwerdens betrachten - ähnlich dem, was die australischen Ureinwohner erleben, wenn sie als Jungen ihr Zuhause verlassen, um allein in der Wildnis zu leben und Monate später als Männer zurückkehren? Ein noch besserer Vergleich ergab sich aus der Lektüre eines 1938 veröffentlichten Buches, Homo Ludens, von Johan Huizinga. Huizinga stellte die Hypothese auf, dass Kultur im Spiel beginnt und von diesem angetrieben wird, d.h. "jede freie Tätigkeit, die bewusst außerhalb des gewöhnlichen Lebens steht, weil sie nicht ernsthaft ist, und die den Spieler intensiv und vollständig in Anspruch nimmt." Huizinga vertrat die Ansicht, dass das "Spiel" älter ist als die Kultur und sowohl der Anfang als auch der Motor des sozialen Verhaltens ist. Das Phänomen, dass Jugendliche an einen Ort im Ausland gehen, um dort mit Liebesbeziehungen zu experimentieren, könnte als "Spiel" betrachtet werden und Lloret de Mar als ihr "Spielplatz".
Meine Schlussfolgerung entsprach meiner Hypothese: Die Jugendlichen, die ich untersuchte, verbrachten ihren Urlaub in Lloret de Mar damit, erwachsene Verhaltensweisen "nachzuspielen": Zigaretten rauchen, lange aufbleiben, alkoholische Getränke trinken und natürlich mit Verführung und Liebesaffären experimentieren. Sie erkundeten die vielen Möglichkeiten, "Nein" zu sagen, ebenso gründlich wie sie verschiedene Möglichkeiten ausprobierten, "Ja" zu sagen. Viele erlebten ekstatische Momente, direkt gefolgt von unausweichlichen Gefühlen des Elends. In der Zwischenzeit gewannen sie in beeindruckend schnellem Tempo "erwachsene Weisheit".
Wenn ich heute aus meinem derzeitigen IKT-Lebensraum zurückblicke, würde ich die Urlaubserfahrung in Lloret de Mar als "Schnellkochtopf" beschreiben. Ein "Schnellkochtopf" ist ein Ereignis, das für eine bestimmte Zeit (z.B. eine Woche) außerhalb der täglichen Arbeitsumgebung stattfindet und bei dem es darum geht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. 
Die Menschen, die ich untersuchte, konnten auf dem Spielplatz von Lloret "Erwachsen sein" spielen und schnell aus ihren Fehlern lernen. Da der Spielplatz ein "Dampfkochtopf" war, weit weg von zu Hause, konnten sie frei experimentieren, scheitern und schnell lernen, ohne dass ihnen Gerüchte drohten, wie es sonst der Fall wäre, wenn die Aktivitäten in ihren Heimatstädten stattfänden. Sicherlich war es den Jugendlichen peinlich, wenn sie es vermasselten oder abgelehnt wurden, aber da "was in Lloret passiert, bleibt in Lloret", war es eine relativ sichere Umgebung.
Klingelt es bei Ihnen, wenn Sie scheitern und schnell lernen? Das ist die Grundlage einer agilen Denkweise der kontinuierlichen Verbesserung. In Scrum verwenden wir kurze Sprints und sogar tägliche Scrums, um so schnell wie möglich zu lernen, ob wir die richtigen Dinge richtig machen. Je länger wir auf falschen Annahmen aufbauen, desto komplexer und kostspieliger wird es sein, diese zu korrigieren, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.
Es gibt auch eine Verbindung zum agilen Leistungsmanagement. Wenn Sie die Umstellung auf Agile beschleunigen wollen, sollten Sie das Konzept von Lloret de Mar anwenden. Ein Tag im Schnellkochtopf fördert die Teamkultur und das Verhalten. Die Menschen werden innerhalb weniger Tage, vielleicht sogar Stunden, die besten Wege zur Zusammenarbeit finden. Wie Huizinga in Homo Ludens feststellte: "Kultur wird nicht nur durch das Spiel angetrieben, sondern sie beginnt auch mit ihm."
Die Grundlage einer Teamkultur kann in einem Schnellkochtopf, einem Hackathon, einem Innovationstag oder jeder anderen Art von "Spielplatz" geschaffen werden.
Diese Ereignisse pflanzen nicht nur die ersten Samen der Kultur, sondern sie sind auch der Motor für neue Ideen und greifbare Ergebnisse. Wie Albert Einstein einmal sagte: "Der einzige sichere Weg, Fehler zu vermeiden, ist, keine neuen Ideen zu haben." Um die Kreativität zu fördern, brauchen die Mitarbeiter ein sicheres Umfeld, in dem sie experimentieren, lernen und scheitern können, ohne das Unternehmen zu ruinieren.
Aber machen Sie die Umgebung nicht zu sicher... Der Grund, warum Lloret de Mar eine so ausgezeichnete Lernerfahrung ist, ist, dass Versagen wirklich und ernsthaft weh tut. Zu Hause werden Sie wahrscheinlich nicht den Leuten begegnen, die Zeuge Ihrer peinlichen Leistung geworden sind. Aber im Urlaub auf
zählen die Erfahrungen. Sich verlieben, sich verraten fühlen, sich zurückgewiesen fühlen, sich verletzt fühlen, sich ekstatisch fühlen, sich einsam fühlen - all diese Emotionen kommen und gehen wie in einem Dampfkochtopf. Wie in Home Ludens verzehrt das "Spiel" die Spieler völlig.
Beruflich funktioniert es genauso. Man wird nicht klüger, wenn man auf Nummer sicher geht. Der Einsatz muss hoch genug sein, damit die Menschen über ihre Komfortzone hinauswachsen können. Wir brauchen ein höheres Ziel als "nur für die Lernerfahrung". Es sollte das Bestreben vorhanden sein, etwas von großem Wert zu schaffen und die Erwartungen der Kunden zu übertreffen. Gleichzeitig müssen sich die Teilnehmer sicher genug fühlen, um den ersten Schritt aus der Box zu wagen, die Grenze zu überschreiten und zu scheitern. Andernfalls haben sie keine Möglichkeit, aus ihren Fehlern zu lernen, weil sie nicht riskieren können, sie zu machen. Unser professionelles "Spielfeld" sollte sich in unserer eigenen Version von Lloret de Mar abspielen - sicher, aber nicht zu sicher.
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