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Wie wir experimentieren – Methoden und Werkzeuge fürs Prototyping (Teil I)

09 Apr, 2024
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Wie wir Experimentieren: Methoden und Werkzeuge fürs Prototyping

Wie man Hypothesen effektiv testen und Experimente zum Erfolg bringen kann: Eine Übersicht über die Auswahl der richtigen Prototyping-Methoden und Werkzeuge innerhalb des Design-Prozesses digitaler Produkte.

Der Auftakt unserer Blogreihe zeigte, wie Prototyping als vielseitige Methode nahezu sämtliche Etappen des Produkt-Design-Zyklus bereichern kann. Der zweite Beitrag widmet sich voll und ganz den Methoden und Werkzeugen.

Um einschätzen zu können, welches Werkzeug zu welchem Zeitpunkt idealerweise eingesetzt wird, dreht sich als Erstes alles um das «Prototyping Profil». Dieses Profil soll helfen, die richtige Methode auszuwählen und die idealen Einsatzmöglichkeiten zu verstehen. Anschliessend stehen Ziele und Hypothesen im Mittelpunkt. Und zum Schluss füllt sich der Werkzeugkasten mit einer Übersicht über mögliche Methoden und Tools.

Zur besseren Lesbarkeit findest du die Methoden und Werkzeuge auf einer separaten Seite:
Methoden und Werkzeuge fürs Prototyping

Methodenprofile

Die Wahl der passenden Methode ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Produkterfolg. Um dir diese Entscheidung zu erleichtern, erstellen wir uns zunächst auf ein Kriterienprofil. Dieses Profil ermöglicht einen direkten Vergleich mit deinen spezifischen Zielen und hilft dir dabei, die ideale Methode oder das perfekte Werkzeug für dein Vorhaben zu identifizieren. Wir werden insgesamt sechs Faktoren beleuchten, die für die Ausarbeitung dieses Profils essentiell sind.

Fokus

Der Fokus beschreibt den zentralen Kern des Produktes oder des Produkt-Design-Prozesses. Das Prototyping-Profil unterscheide zwischen den Kategorien Software, Hardware und Prozesse. Diese drei Bereiche sind miteinander verzahnt: Hardware benötigt Software, um zu funktionieren. Software-Produkte wiederum bilden Prozesse ab und unterstützen Abläufe. Um ein Beispiel zu nennen: Die Software könnte eine App für die Suche und Anmeldung an einem Xebia-Academy-Kurs sein. Die Hardware wäre das Smartphone, auf dem die Applikation läuft. Und der Prozess, entspräche dem Ablauf, den es benötigt, um den Kurs tatsächlich stattfinden zu lassen. Hier sprechen wir häufig auch von Service Design, bei dem sowohl manuelle oder wie auch digitale Schnittstellen zu anderen Systemen berücksichtigt werden. Später werden wir sehen, dass sich einige der vorgestellten Methoden für den Einsatz in mehreren Kategorien eignen.

Prototyp Fokus

Prototyp Fokus

Design Prozess

Die zweite Kategorie befasst sich mit der Frage, in welchem Teil des Design-Prozesses wir uns befinden. Einfachheitshalber lässt sich der Prozess in divergierende und konvergierende Phasen unterscheiden. In divergierenden Teilen der Produktentwicklung wird das Ziel eher sein, schnell viele Ideen auszutesten. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn es darum geht, potenzielle Features zu entdecken oder die Problemstellung, die wir mit einem Produkt lösen wollen, zu verstehen. Konvergierende Phasen hingegen arbeiten darauf hin, das Produkt-Design zu fokussieren und auszuspezifizieren.

Design-Phasen des Prototyps

Design-Phasen des Prototyps

Umfang

Wie bereits Teil 1 der Blog-Serie erklärte, kann ein Prototyp verschiedene Grössenordnungen annehmen – von einzelnen «Elementen» oder Komponenten bis hin zu kompletten Produkten oder Lösungen. Zwischendrin finden wir den Begriff «System». Damit sind autonome Teile des Produkts gemeint, welche abgesehen von Schnittstellen für sich alleine lauffähig sind. Ein Beispiel hierfür ist das Entertainment-System eines Autos, das unabhängig von anderen Fahrzeugsystemen operieren kann, solange es mit den erforderlichen Schnittstellen versehen ist. Um das Autobeispiel weiter zu spinnen: Der Lautstärke-Regler würde als Element betrachtet, während das gesamte Fahrzeug das vollständige Produkt repräsentiert.

Umfang des Prototyps

Umfang des Prototyps

Detailgrad

Wie detailliert wird der Prototyp ausgearbeitet, um seinen Zweck zu erfüllen? Wie im ersten Teil erwähnt, wird dies in der Literatur häufig als "Fidelity" bezeichnet. Hier unterscheiden wir mittels einer fliessenden Skala. Tief bedeutet, dass sozusagen nur skizziert wird. Bei hoch befinden wir uns in Bereichen, wo mindestens ein Teil des Prototyps dem endgültigen Produkt sehr nahe kommt.

Ein Beispiel für die unterschiedlichen Detailgrade könnten die verschiedenen Arten von Prototypen bei Software-Interfaces sein. Zu Beginn sind es einfache Skizzen, später detailgetreue Nachbildungen der künftigen Software (mehr dazu bei den Methoden und Werkzeugen).

Detailgrad und Tiefe des Prototyps

Detailgrad und Tiefe des Prototyps

Skill-Level

Welche Fähigkeiten wir zum Erstellen eines Prototypen brauchen, steht im Zentrum des nächsten Faktors. Ein Karton-Modell zum Testen der Handhabung eines Handbohrers benötigt andere Skills und Werkzeuge, als die Herstellung des Vorfertigungs-Prototyps. Es gilt, die richtige Teamzusammenstellung zum richtigen Zeitpunkt zu finden. Einige Methoden und Werkzeuge benötigen praktisch keine Vorkenntnisse. Andere bedürfen einer gewissen Einarbeitungszeit oder sogar die Mitwirkung von Profis - gerade wenn es um technische Skills geht.

Erforderliche Skills für die Umsetzung

Erforderliche Skills für die Umsetzung

Teambildung

Ein grundlegender Aspekt des Experimentierens ist die Integration verschiedener Perspektiven. Diese Vielfalt ist essenziell, um die Grenzen herkömmlicher Methoden und Denkweisen zu überschreiten. Aus meiner Erfahrung ergibt sich hieraus ein zentraler Grundsatz der Teambildung: Diversität schafft die stärksten Teams und führt zu den besten Ergebnissen. Die Einbeziehung unterschiedlicher Hintergründe, Kulturen und Erfahrungen ist entscheidend, um ein offenes Mindset zu fördern und innovative Lösungen zu entwickeln.

Resultate

Ein weiteres Kriterium in unserem Profil betrifft die Geschwindigkeit, mit der Ergebnisse erzielt werden können. Ich unterscheide hierbei zwischen drei Stufen: Kurzfristig (Stunden), Mittelfristig (Tage) und Langfristig (Wochen). Dabei vermeide ich bewusst den Begriff des Aufwands, denn obwohl eine Methode vielleicht eine längere Durchlaufzeit erfordert, kann sie dennoch schnell implementiert sein. Trotzdem neigt eine längere Durchlaufzeit oft dazu, in einen höheren Gesamtaufwand zu münden. Es ist wichtig, diesen Aspekt bei der Auswahl der Methoden zu berücksichtigen, um die Effizienz des Entwicklungsprozesses zu optimieren und die Erwartungen hinsichtlich der Zeit bis zum Erreichen erster greifbarer Ergebnisse realistisch zu gestalten.

Zeit bis zu den ersten Resultaten

Zeit bis zu den ersten Resultaten

Und damit wäre unser Kriterienraster vollständig. Wichtig zu wissen ist, dass die Übergänge bei einigen Kriterien fliessend sind. So werden wir später Methoden sehen, die es sowohl erlauben sehr weit ins Detail gehen, wie auch nur grobe Skizzen zu kreieren. Zusammengefasst sieht das Prototyping-Profil so aus:

Prototyping-Profil

Prototyping-Profil

Das Profil soll natürlich nicht nicht reine Theorie bleiben. Entsprechend wirst du das Prototyping-Profil bei jeder vorgestellten Methode und jedem Werkzeug wiederfinden. Es soll dir auch helfen zu beurteilen, wie du deine eigene Prototyping-Herausforderung angehen könntest. Erst widmen wir uns aber einer der zentralen Fragen: Welche konkreten Ziele soll ein Prototyp überhaupt verfolgen?

Ziele und Hypothesen

Im ersten Teil unserer Serie habe ich bereits die Bedeutung klar definierter Ziele für die Entwicklung eines Prototypen hervorgehoben. Ein Prototyp entfaltet seinen Nutzen am besten, wenn genau feststeht, welche Fragen und Hypothesen er beantworten soll. Dies ist besonders relevant, wenn es um Prototypen mit hohem Detailgrad geht, da der damit verbundene Ressourceneinsatz erheblich sein kann.

Für die Formulierung solcher Hypothesen gibt es verschiedene Hilfsmittel. Persönlich bevorzuge ich die Schablone von Strategyzer aus dem Buch “Value Proposition Design" (S. 204), die vier einfache, aber zentrale Fragen aufwirft:

  1. Wir glauben, dass... – Hier formulieren wir unsere Annahme oder Hypothese.

  2. Um dies zu verifizieren, werden wir... – Dies beschreibt, welche Aktionen oder Tests durchgeführt werden sollen.

  3. Und messen... – Hier legen wir fest, welche Metriken oder Ergebnisse als Beweis dienen.

  4. Wir liegen richtig, wenn... – Die Kriterien, anhand derer wir erkennen, ob unsere Hypothese bestätigt wird.

Passend dazu gibt es auch Learning Cards, welche bei der Validierung der Hypothesen unterstützen (vgl. Value Proposition Design, 2015).

Eine alternative Methode, die ich ebenfalls gerne nutze, ist die "How Might We"-Frage. Sie dient als Struktur-Vorlage, um Herausforderungen bei der Suche nach der richtigen Lösung zu formulieren. Diese Fragen können auch dabei helfen, das passende Werkzeug für den Prototypen zu wählen. Ein typisches Beispiel könnte lauten:

«Wie könnten wir unseren manuellen, offline geführten Rechnungsprozess in einen vollständig digitalen Prozess umwandeln, um effizienter zu sein und mehr Zeit in die Kundenentwicklung investieren zu können?»

Beide Ansätze – sowohl die Hypothesen-Schablone von Strategyzer als auch die "How Might We"-Fragen – sind gute Werkzeuge, um die Zielsetzung für einen Prototypen zu schärfen und sicherzustellen, dass die Entwicklung gezielt auf die Beantwortung der wichtigsten Fragen ausgerichtet ist.

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Dieser Beitrag ist Teil der Blogserie «Prototyping für digitale Produkte»:

David Krauer
David knows what it takes to realize digital products. His fields of expertise include product development, product management, and service design. With an agile mindset and unexpected solution approaches he helps to make the world more and more digital. He connects the business and the technology worlds and never loses his focus on users. User-centered design and design thinking are among the most important principles of his way of thinking and working. In his career, he has worked as product manager, product owner, business analyst, and project manager.
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