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KI-gesteuerte Software und Systeme im täglichen Einsatz – Teil 2 von 5

Xebia
by  Xebia
06 Nov, 2020
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Nachdem wir uns im ersten Artikel dieser Serie mit den Grundlagen zum Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI) beschäftigt haben, geben wir in diesem Artikel einen kleinen Überblick darüber, wo KI-gesteuerte Systeme schon heute im täglichen Einsatz sind. Die berühmt-berüchtigten selbstfahrenden Autos sind daher nicht dabei.

Generell kann KI drei Sachen sehr gut: Grosse Datenmengen schnell durchforsten und analysieren, (auch unbekannte) Situationen durch statistische Analyse bewerten und, darauf basierend, Vorhersagen treffen. Sie ist also dafür prädestiniert im SMS-Programm Ihres Handys die nächsten Wörter vorzuschlagen. Achten Sie doch einmal darauf, wenn Sie mal wieder ein neues Handy haben, wie die Vorschläge für das nächste Wort immer genauer werden, je besser Ihr Handy Sie „kennengelernt“ hat.

Im Produkt-Marketing ist KI heute nicht mehr wegzudenken. Auch hier lernt die KI Sie kennen. Einerseits ganz persönlich: Demografische Werte, Kaufverhalten, Reaktion auf äussere Einflüsse (kurz vor den Sommerferien kauft sie Herzschmerzromane, im Herbst Lehrbücher), aber auch im Vergleich mit anderen Kunden (hundert Kollegen, die im gleichen Unternehmen tätig sind, kauften in den letzten Tagen Bücher zum Thema „Job und Bewerbung“).

In all diesen Fällen durchsucht die KI grosse Datenmengen und versucht Muster zu identifizieren. Jedes kleine Stück Information über Sie ist ein weiteres Puzzleteilchen zur Transparenz. Der Händler mit dem grössten Erfolg ist nicht zwangsweise der mit dem für mich besten Sortiment, sondern der, der mir immer gerade genau das vorschlägt, was ich (unbewusst) jetzt haben will.

Viele Käufe sind impulsgesteuert. Je kürzer der Abstand zwischen Kunde und Verkaufspunkt ist, je wahrscheinlicher ist es, dass der Kauf getätigt wird. Deshalb haben Online-Verkäufer, und Amazon vorne weg, schnell die Distanz zwischen Kunde und Computer mit „intelligenten“ Lautsprechern reduziert. Diese dienen auch als Kommunikationsgerät zum persönlichen Assistenten (der KI-gesteuert ist). Bereits Ende 2018 hatte Amazon als Marktführer über 100 Millionen Alexas verkauft (1). Erfolgreich in dem Markt kämpfen auch Googles „Assistant“, Apples „Siri“, Microsofts „Cortana“ und Samsungs „Bixby“(2).

Wie schnell sich der ganze Bereich entwickelt, lässt dieser Artikel in der Computerwoche von 2016 erahnen, in dem von vielen geplanten Projekten erzählt wird (die heute Alltag sind) und der erwähnt, dass von Alexa zu diesem Zeitpunkt schon 3 Mio. Stück verkauft wurden.

KI im Haushalt

Basierend auf der KI-Funktionalität „Natural Language Processing“ (NLP, Verarbeitung natürlicher Sprache) ist es möglich in normaler Alltagssprache mit dem persönlichen Assistenten zu sprechen. Je nach Konfiguration kann der Assistent Fragen nicht nur durch Internetsuche beantworten, sondern hat auch Zugang zum Beispiel zu meiner Musikbibliothek oder meinem Musik-Streaming-Provider. Statt spezifische Songs kann ich so auch einfach „Musik zur Einstimmung ins Wochenende“ anfordern. Die KI weiss schon, was ich damit meine.

„Smart Home“ und „Internet of Things“ (IoT, Internet der Dinge) sind momentan andere sehr aktuelle Themen. Nicht nur mein Heizkörper, sondern auch meine Haushaltsgeräte sind plötzlich onlinefähig. Alexa regelt auf Wunsch die Zimmertemperatur und kann auf Kommando nicht nur meine Kaffeemaschine starten – es erkennt durch meinen bekannten Kaffeekonsum auch, dass mein Kaffeevorrat nicht über das lange Wochenende mit dem Feiertag reichen wird, und bestellt beim Online-Händler neuen.

Viele Maschinen sind heute mit einem Bündel von Sensoren ausgestattet. Damit kann man zum Beispiel bei einem Auto vom aktuellen Ölstand bis zum Reifendruck und Abnutzungsgrad jedes einzelnen Reifens den momentanen Gesamtzustand des fahrenden Autos permanent abbilden. Da die KI des Autos auch eine grosse Menge Vergangenheitswerte hat, lassen sich hier leicht Prognosen errechnen, so dass die Ölwarnlampe schon lange an ist, bevor ein Schaden eintritt. Diese Form der pro-aktiven Benachrichtigung nennt sich „Predictive Maintenance“ – welches als „vorausschauende Wartung“ übersetzen wird.

Auch der Aufzughersteller KONE nutzt die Technologie des IoT in vielen Teilen seiner Produkte für die „Predictive Maintenance“, um weltweit über 1 Mio. Aufzüge zu überwachen. Der Einsatz des Wartungstechnikers wird so geplant, dass er vorbeikommt, bevor etwas defekt ist, und zu einer Uhrzeit, zu der seine Arbeit einen möglichst geringen Einfluss auf den Betrieb des Aufzuges hat. Sollte jedoch trotzdem ein Defekt auftreten, dann wird der Techniker von einer KI bei der Fehlersuche unterstützt. Diese versucht zum Beispiel vergleichbare Schäden und Erfahrungsberichte oder passende Dokumentation in den Datenbanken zu finden (3).

KI und Social Media

„Social Media“ ist ein anderes breites Feld für KI. Der Anbieter der Plattform versucht auch hier mich so gut wie möglich kennenzulernen, damit er mir möglichst relevante neue Freunde, Artikel und Werbung vorschlagen kann. Durch mein Profil, meine Kommentare, hochgeladenen Fotos, Chats, Videos und mein Klick-Verhalten gibt es hier schon schnell ein umfassendes Bild von mir, dem Anwender.

Neben dem direkten Anwender erscheinen „Umrisse“ von „Nicht-Anwendern“. Wenn zum Beispiel fünf User Rachel Green in ihrem Adressbuch haben, dann hat die KI schon einmal die Grunddaten Adresse, E-Mail, Telefonnummer und Geburtstag von ihr. Aus Veranstaltungsnotizen und GPS-Daten wird klar, dass diese fünf User regelmässig gemeinsam Dinge unternehmen. Die Annahme ist, dass auch Rachel mit dieser Gruppe Zeit verbringt und bei einigen der Veranstaltungen dabei war. Vielleicht gibt es auch noch ein Upload von einem Gruppenfoto und jemand „tagt“ sie darauf mit ihrem Namen …

KI hat auch einen Grosseinsatz in der Bilderkennung. Dank inzwischen guter Gesichtserkennung durchforstet die KI jedes neue hochgeladene Bild und Video nach bekannten Gesichtern, um die Bilder entsprechend zu „taggen“, sprich: das Bild mit den Namen der identifizierten Personen zu markieren. Auf der anderen Seite dient es auch dazu, die Bilder herauszufiltern, die die Regeln der Plattform verletzen, damit sie gleich gesperrt werden.

Twitter setzt seit einiger Zeit recht erfolgreich KI-Suchprogramme ein, die Konten identifizieren, die nicht von einem Menschen, sondern von einem sogenannten „Social-Bot“ bedient werden. Ja, auch diese Social-Bots sind KI-gesteuert. Sie versuchen Menschen zu imitieren, leiten Tweets weiter, schreiben Kommentare oder geben Antworten. Dabei haben sie von ihren „Auftraggebern“ eine Zielvorgabe bekommen, z. B. eine bestimmte politische Meinung als positiv oder negativ darzustellen und zu verbreiten. Bei genauerer Betrachtung sind diese Social-Bots eigentlich nur die Vollendung von „ELIZA“, dem ersten Computer-Sprachprogramm aus den 1960ern, welches versucht hat einen Psychotherapeuten zu imitieren (siehe Artikel Teil 1 dieser Serie) (4, 5).

Bilderkennung wird aber nicht nur für Fotos und zur Gesichtserkennung am Flughafen eingesetzt oder um Handys und Laptops zu entsperren, sondern zum Beispiel auch in der Medizin. Hier können u. a. Fotos von Leberflecken gegen eine riesige Datenbank vergleichbarer Fotos mit Diagnosen verglichen werden. Die KI errechnet daraus eine Wahrscheinlichkeit, ob der gezeigte Leberfleck gut- oder bösartig ist.

Ein ganz anderes Einsatzfeld hat der Ölproduzent ADNOC (Abu Dhabi National Oil Company) für KI-unterstützte Bilderkennung identifiziert. Hier werden Bohrkerne von Probebohrungen visuell untersucht und klassifiziert. Diese Aufgabe konnte bisher nur von sehr erfahrenen Geologen gemacht werden. Die untersuchte Stückzahl pro Tag ist limitiert und Experten sind Mangelware – und wenn diese in Rente gehen, geht auch ihr Erfahrungsschatz. Durch den Einsatz von KI konnte die täglich verarbeitet Menge einerseits massiv gesteigert werden (527 Bilder pro Sekunde), andererseits können so auch jüngere Geologen in dem Bereich eingesetzt werden und Erfahrung sammeln (6).

KI im Service Center

Als letztes möchten wir noch einen Anwendungsbereich aufzeigen, mit dem viele von uns schon zu tun hatten: Chatbots und KI-gesteuerte Software in Service-Zentren. Chatbots kennen Sie, das sind die netten Kollegen, die sich auf jeder zweiten Webseite unten rechts öffnen und unbedingt helfen wollen. Die einzelnen Chatbots können meistens nicht viel, das aber gut. Mit einer Liste von 5 – 10 Begrüssungen weiss der Bot, was eine Begrüssung ist, und erkennt sie auch, wenn er das Wort selber noch nie gehört hat (KI). Für die übrigen Blöcke eines Gespräches gilt das gleiche.

Es ist relativ einfach diesem Chat-bot eine KI-generierte Stimme zu geben, die überhaupt nicht mehr blechern klingt. Schon kann er mit den Kunden telefonieren, die nur nach den Öffnungszeiten fragen wollen, nach der Webadresse oder eine andere Standard-Information brauchen. Ethisch korrekte Chatbots stellen zu Beginn des „Gespräches“ klar, dass sie kein Mensch sind, aber ob es alle tun?

Auf jeden Fall helfen sie den menschlichen Agenten damit, diese langsam nerv-tötenden Standardfragen abzufangen und sie für die Fragen freizuhalten, für die ihr Fachwissen und ihre Urteilsfähigkeit benötigt wird. Ausserdem muss der Chatbot nicht pünktlich zum Nachtessen nach Hause, sondern schiebt seine Schicht 24/7.

Dank KI-Spracherkennung kann der Kunde am Anfang des Telefonates in normaler Sprache sagen, was sein Anliegen ist, und wird an die richtige Stelle weiterverbunden. Das Ende von „Drücken Sie 1 für … 8, falls Sie das Ganze noch einmal hören möchten“ [blecherne Stimme]. Vor diesem Hintergrund versteht man auch, warum regelmässig das Gespräch mit einem Service-Center für Trainingszwecke aufgezeichnet werden soll. Hier wird nicht unbedingt der menschliche Lehrling trainiert, sondern vielleicht der Chatbot.

Um die Geschwindigkeit und Qualität der Antworten der menschlichen Agents zu steigern, wird zunehmend auch die Verwaltung von Dokumenten und Tickets von einer KI organisiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Kontextabfrage sinnvolle Informationen gefunden werden, ist bei einer KI viel grösser als zum Beispiel mit einem Schlagwortsystem.

Da viele Kunden bereits gewohnt sind mit Siri, Alexa und Co zu kommunizieren, ist für sie ein Chatbot der bevorzugte Weg mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten – und das generationenübergreifend (7).

Damit schliesst sich der Kreis. Wie Sie sehen konnten, ist KI-unterstützte Software schon seit längerem überall in unserem Alltag im Einsatz – Tendenz steigend, und das war nur ein sehr kleiner Abriss der Anwendungen.

Im nächsten Artikel dieser Serie schauen wir uns detailliert an, wie KI im Bereich Testautomatisierung eingesetzt wird.

Ach ja. Und falls Sie nicht sicher sind, ob Sie gerade am Telefon mit einem Menschen oder einem Chatbot sprechen, stellen sie exakt die gleiche Frage mehrmals hintereinander. Der Chatbot wird jedes Mal identisch antworten.

Dieser Artikel ist eine Gemeinschaftsarbeit von: Olaf Lipinski, Wilhelm Kapp and Dejan Husrefovic, SwissQ Consulting, August 2020

Quellen

(1) Amazon hat mehr als 100 Millionen Alexa-Geräte verkauft, geprüft am 07.08.2020

(2) Smart Home Sprachassistenten, geprüft am 07.08.2020

(3) IBM Watson Stories: KONE, geprüft am 07.08.2020

(4) Twitter CEO Dorsey holt sich Hilfe aus den Niederlanden im Kampf gegen Fake News, geprüft am 07.08.2020

(5) Twitter löscht Millionen Fake-Profile, geprüft am 07.08.2020

(6) IBM Case Studies: Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), geprüft am 07.08.2020

(7) Vital Chatbot Statistics, geprüft am 07.08.2020

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