Design Thinking als Ansatz zur Problemlösung und Entwicklung neuer Ideen wird immer populärer. Viele Unternehmen praktizieren Design Thinking. Es eignet sich nicht nur für die Entwicklung neuer Produkte, sondern auch für Dienstleistungen, Strategien, Geschäftsmodelle, Konzepte oder Prozesse. Doch wie funktioniert Design Thinking und liefert es wirklich die richtigen Ideen zur Lösung von Problemen?
Unser Onboarding-Prozess ist nicht optimal.
Wir finden nicht genug neue Mitarbeiter in abgelegenen Tälern für den Betrieb unserer Wasserkraftwerke.
Zwei sehr unterschiedliche Probleme, die die Personalabteilung eines Energiedienstleisters beschäftigen. Diese Probleme haben wir in einem eintägigen Schulungs-Workshop bearbeitet. «Schulung», weil die Mitarbeiter den Prozess des Design Thinkings auch in der Theorie lernen, damit sie dies in Zukunft selbst anwenden können. «Workshop», weil wir Ideen zu echten Problemen ihres Unternehmens finden und so direkt Mehrwert für die Teilnehmenden, in diesem Fall Mitarbeitende der Personalabteilung, generieren.
Design-Thinking-Prozess und -Mindset
Im Design Thinking gibt es keinen Standard-Prozess, vielmehr gehen verschiedene Firmen nach unterschiedlichen Phasen vor, die sich ähneln.
Wir sind nach dem iterativen Prozess der HPI School of Design Thinking vorgegangen:
Man sollte mindestens einen Tag für Design Thinking vorsehen. Es kann auch schnell länger dauern, wenn man z.B. Nutzer oder Kunden befragen oder in ihrem normalen Umfeld beobachten möchte. Bei Design Sprints, die z.B. von Google eingesetzt werden, werden die Phasen Understand, Diverge, Decide, Prototype und Validate in vier oder fünf Tagen durchlaufen.
Viel wichtiger als der Prozess ist allerdings das richtige Mindset. Wer sich auf Design Thinking einlässt sollte Herausforderungen lieben, neugierig sein, Lust auf Visualisieren und Experimentieren haben und den Fokus mit Empathie und Aufmerksamkeit auf den Nutzer bzw. Kunden setzen. Ausserdem sollte man bereit sein, nicht zielführende Ideen und Ergebnisse schnell wegzuwerfen (fail early).
Verstehen
Verbessere den Onboarding-Prozess.
Mache den Job im Betrieb von Wasserkraftwerken in Bergtälern für junge Leute attraktiver.
Für diese Design Challenges suchten die HR-Mitarbeitenden im Workshop neue Ideen. Im ersten Schritt definierten die Teilnehmenden Personas, d.h. typische Vertreter von Zielgruppen. Für die erste Problemstellung war das z.B. Anna, 32 Jahre alt, verheiratet mit einem Kind, Elektroingenieurin. Sie startet demnächst im Unternehmen. Im zweiten Fall haben wir Urs, 23, Elektroinstallateur vom Land mit etwas Berufserfahrung, der die Natur liebt und einen neue Job sucht. Die Verwendung von Personas kommt aus dem Human-Centered Design und erlauben eine starke Identifikation mit potentiellen Nutzern oder Kunden.
Beobachten
Jetzt müssten Vertreter der Zielgruppen entweder interviewt oder bei ihrer relevanten Tätigkeit beobachtet werden. Schon bei der Problemstellung mit dem Onboarding-Prozess ist das im Rahmen des Workshops herausfordernd, da geeignete Vertreter nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Der Workshop-Teilnehmer, der zuletzt im Unternehmen angefangen hatte, wurde als Interviewpartner ausgewählt. Ein 23-jähriger naturliebender Elektroinstallateur aus einem Bergtal war aber zufällig beim Workshop nicht anwesend. So mussten wir ein Interview simulieren. Bei einem «richtigen» Design Thinking Prozess müsste man hier Vertreter der Zielgruppe besuchen, beobachten und befragen.
Für das Verständnis der Bedürfnisse der Nutzer oder Kunden ist es äusserst hilfreich, eine User Journey bzw. Customer Journey zu erstellen - welche Erfahrungen und Erlebnisse wurden vor, während und nach der Nutzung des Produktes oder Services gemacht. Alternativ könnte man auch einen Tag im Leben der Persona detailliert beschreiben.
Standpunkt definieren
Ausgehend von den Personas und den Erkenntnissen aus den Interviews definierten wir den Standpunkt. Ziel in dieser Phase ist es, in der Gruppe ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, in welchem Rahmen eine Lösung gefunden werden kann.
Bezüglich Onboarding neuer Mitarbeitenden haben die Teilnehmenden erkannt, dass der Onboarding-Prozess nicht gut genug unterstützt wird und sowohl die neuen Mitarbeitenden als auch ihre Vorgesetzten nicht immer wussten, was als nächstes erledigt werden müsste.
Bei potentiellen jungen Betriebsmitarbeitenden in Wasserkraftwerken war ein wichtiger Punkt, dass die Aufstiegschancen gering sind, weil langjährige Mitarbeiter in Führungsfunktionen kein Grund sehen, diese abzugeben.
Ideen finden
Für die Ideenfindung gibt es verschiedene Kreativitätstechniken. Wir probierten die 6-3-5 Methode aus: 6 Teilnehmende (es können aber auch mehr oder weniger sein) erhalten jeweils ein Blatt, auf das sie je drei Ideen zur Lösung des Problems schreiben und geben das Blatt weiter. Der nächste Teilnehmende entwickelt dann die Ideen der vorhergehenden Teilnehmenden weiter. Das geht weiter, bis jeder jedes Blatt einmal bearbeitet hat.
Im Anschluss hat jede Gruppe eine Idee ausgewählt und diese visualisiert: auf einem Flipchart wurde hierzu die Idee mit einem Slogan, den adressierten Bedürfnissen, der Lösung und dem Nutzen dargestellt.
Prototyp entwickeln
Dies war der Teil, der den Teilnehmern am meisten Spass gemacht hat, da sie ihre Kreativität frei entfalten konnten.
Die Onboarding-Gruppe entschied sich, eine App zu entwickeln, die den neuen Mitarbeitenden beim Start unterstützt. Schon mit der Einladung für den ersten Arbeitstag erhält er die Informationen, mit denen er sich die App herunterladen und sich registrieren kann. Er hat dann schon die Informationen zu seinem ersten Arbeitstag inklusive z.B. Bilder von den Mitarbeitenden in seinem Team zur Verfügung. Die App führt ihn dann interaktiv durch die komplette Probezeit. Dazu haben die Teilnehmenden Mockups auf Flipcharts erstellt.
Die Gruppe für bessere Perspektiven für junge Betriebsmitarbeiter hatte es schon etwas schwerer, da hier kein konkretes Produkt, sondern ein Konzept dargestellt werden musste. Sie entschied sich, ein «Generationenhaus» aus Lego zu bauen, mit dem sie wichtige Punkte des Konzepts, z.B. die Übergabe von Verantwortung von erfahrenen an junge Mitarbeitende visualisierte und so erfahrbar machte.
Testen
Um schnell Feedback zum Produkt bzw. Konzept zu erhalten, haben die Gruppen ihre Prototypen getestet. Dabei wurde der Prototyp dem Interview-Partner aus der Beobachten-Phase vorgestellt. Dieser konnte dann sagen, was ihm gefällt, welche Wünsche oder Ideen er noch hat und wo noch Fragen sind. Die Erkenntnisse hieraus haben die Gruppen dann in einer weiteren Iteration in den Prototyp einfliessen lassen.
Fazit
Design Thinking ist eine Möglichkeit, verhältnismässig schnell Ideen und Lösungen zu entwickeln, die die wirklichen Bedürfnisse von Nutzer oder Kunden adressieren. Es ist spannend zu beobachten, welche Dynamik die Teilnehmer entwickeln und wie engagiert sie zu Werke gehen, wenn es um echte Probleme aus ihrem Bereich geht - und natürlich, wie viel Spass sie dabei haben.
Auch wenn keine «echten» Vertreter der Zielgruppen zur Verfügung stehen, wie in unserem Schulungs-Workshop, können sich die Ergebnisse wirklich sehen lassen, sind aber sicherlich nicht optimal. Für Design Thinking, das nicht im Rahmen einer Schulung stattfindet, müssten Nutzer oder Kunden zwingend involviert werden.
Design Thinking erleben
Falls ihr Lust habt, selbst Design Thinking durchzuführen, bieten wir in unserer SwissQ-Academy einen eintägigen Schulungs-Workshop wie hier beschrieben an. Für alle, die zuerst einmal einen kurzen Einblick in Design Thinking bekommen wollen, halte ich zusammen mit Daniela Maag-Biri von ewz zwei Workshops «Design Thinking erleben» am European Product Owner & Requirements Engineering Day am 24. Juni 2019 - eine intensive Stunde mit viel Spass ist garantiert.
Literatur
Eine gute Einführung in Design Thinking gibt Das Design Thinking Playbook (M.Lewrick, P. Link, 2018).